Sonderkontingent für Frauen und Kinder aus dem Nordirak

Zais: Sachsen sollte dem beispielhaften humanitären Engagement Baden-Württembergs folgen!

Rede der Abgeordneten Petra Zais zum Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN „Sonderkontingent für besonders schutzbedürftige Frauen und Kinder aus dem Nordirak“ (Drs 6/9700) – 58. Sitzung des Sächsischen Landtags, 30. August, TOP 9

– Es gilt das gesprochene Wort –

Sehr geehrter Herr Präsident,
sehr geehrte Abgeordnete,

stellen sie sich vor, sie lernen eine junge Frau kennen. Sie erzählt ihnen ihre Geschichte. Sie berichtet ihnen von ihrem Leben in einem Flüchtlingscamp im Nordirak. Sie erzählt davon, dass sie Versklavung, Vergewaltigung, Folter und Demütigung durch den IS erlebt hat und sie können es kaum fassen, dass sie diese Torturen überlebt hat. Die Geschwister und die Eltern wurden vom IS getötet. Die junge Frau sagt ihnen, wie glücklich sie ist, jetzt in Deutschland in Sicherheit zu sein und die Hölle hinter sich gelassen zu haben.

Das ist keine Geschichte. Die Schilderungen sind Realität und die Frau hat einen Namen. Sie heißt Nadia Murad.

Sie konnte über ein von Baden-Württemberg eingerichtetes Sonderkontingent für schutzbedürftige Frauen und Kinder aus dem Nordirak nach Deutschland reisen. Nachdem sie hier in Sicherheit war, sprach sie immer wieder öffentlich über das Erlebte und über das Schicksal der Yezidinnen und Yeziden, auch vor dem Sicherheitsrat der Vereinten Nationen. Am 16. September 2016 wurde sie in New York von UN-Generalsekretär Ban Ki-Moon zur ‚Sonderbotschafterin für die Würde der Überlebenden von Menschenhandel“ ernannt.

Baden-Württemberg hat im Oktober 2014 die Aufnahme von 1.000 Frauen und Kindern aus dem Nordirak beschlossen, die aufgrund des Massakers am 3. August 2014 traumatisierende Gewalt erfahren und engste Angehörige verloren haben.

Dank der späteren Beteiligung von Niedersachsen und Schleswig-Holstein konnten schließlich sogar 1.100 Frauen und Kinder überwiegend Angehörige der nichtmuslimischen Minderheiten der Yeziden und Christen aus dem Nordirak in Sicherheit gebracht werden. Das Programm ist seit Januar 2016 abgeschlossen. Die Bundesregierung hatte diesem Programm die nötige Zustimmung erteilt.

Es wurde von Baden-Württemberg finanziert, organisiert und mit Unterstützung des deutschen Generalkonsulats in Erbil durchgeführt.

>>Sie haben mit diesem Vorschlag nicht nur unser Leben gerettet, sondern auch unsere Stimmen!<<, dankte Nadia Murad dem Land Baden–Württemberg in einer bewegenden Rede für die Aufnahme von 1000 IS-Opfern aus dem Nordirak.

Auch der Brandenburger Landtag hat im Dezember 2016 beschlossen, dem Beispiel Baden-Württembergs zu folgen, denn die Not vor Ort ist noch immer groß. Der Leiter der Projektgruppe Sonderkontingente des baden-württembergischen Staatsministeriums berichtete: >>Wir hätten auch 5000 Frauen aussuchen können, denen es psychisch und körperlich richtig schlecht geht, die nicht mehr weiter wissen.<<

(siehe http://www.fluechtlingshilfe-bw.de/projekte/unterbringung/sonderkontingente-nordirak/ ; aufgerufen am 22.08.2017).

Noch immer befinden sich 1.600 überwiegend alleinstehende, yesidische Frauen und Kinder, die bis zu zwei Jahren in IS-Gefangenschaft waren, in den Flüchtlingscamps im Nordirak.

Die brandenburgische Regierung wirbt für das Anliegen bei den anderen Bundesländern. Auf die von Baden-Württemberg geschaffenen Strukturen könne zurückgegriffen und von den Erfahrungen Baden-Württembergs könne profitiert werden.

Im Übrigen verweise ich auf an den Landtagspräsidenten gerichteten Brief der Gesellschaft für bedrohte Völker vom 25.07.2016, der allen Fraktionen zur Kenntnis gegeben wurde. Darin wird ausdrücklich die Bitte ausgesprochen, Yezidinnen und Yeziden aus dem Nordirak zu helfen und insbesondere traumatisierten Frauen und Kindern Schutz und psychologische Betreuung zukommen zu lassen.

Meine Fraktion und auch ich ganz persönlich möchte mit diesem Antrag erreichen, dass wir auch hier in Sachsen diesem beispielhaften humanitären Engagement folgen. Wir müssen dort Verantwortung übernehmen, wo wir es können. Die Kapazitäten für die Unterbringung sind vorhanden, auch erlittene Traumata können behandelt werden. Die Aufnahme von Schutzsuchenden über humanitäre Sonderkontingente ist neben dem Grundrecht auf Asyl ein zusätzliches Instrument zur Hilfe, dass wir nicht länger ungenutzt lassen dürfen.

Wir fordern deshalb die Staatsregierung auf, 500 schutzbedürftige Frauen und Kinder aus dem Nordirak im Freistaat Sachsen aufzunehmen und dafür die entsprechenden Voraussetzungen zu schaffen.

Das heißt im Einzelnen:

  • eine Aufnahmeanordnung zu erlassen und das notwendige Einvernehmen des Bundesinnenministeriums einzuholen
  • Feststellung der Schutzbedürftigkeit und Visumverfahren realisieren
  • dann hier Aufenthaltserlaubnisse erteilen, die zur Ausübung einer Beschäftigung berechtigen
  • Unterbringung hier in Sachsen in Abstimmung mit den Kommunen realisieren und zusätzliche Mittel zur medizinischen und therapeutischen Versorgung zur Verfügung stellen

Zur Stellungnahme der Staatsregierung:

>>Die Sächsische Staatsregierung ist sich der Situation der von Versklavung, Verschleppung und Vergewaltigung betroffenen traumatisierten yesidischen Frauen und Kindern in der Region Kurdistan (Nordirak) bewusst. Vom Erlass einer Aufnahmeanordnung nach § 23 Abs. 1 AufenthG für besonders schutzbedürftige Frauen und Kinder aus der Region Kurdistan sieht die Sächsische Staatsregierung jedoch ab.<<

Sie verweisen darauf, dass über die im März 2016 beendeten Aufnahmeanordnungen des Bundes und Sachsens 980 Syrerinnen und Syrer nach Sachsen gekommen seien. >>Damit kommt der Freistaat Sachsen bereits jetzt seinen humanitären Verpflichtungen vollumfänglich nach.<< schlussfolgert der Innenminister in seiner Stellungnahme.

Dem muss ich entschieden widersprechen! Für mich ist diese Haltung unerträglich und alles andere als akzeptabel. Kann man Humanität messen?

Ich fordere sie, liebe Kolleginnen und Kollegen auf, diesem verantwortungslosen Nichtstun und Zuschauen mit ihrer Zustimmung zu unserem Antrag ein Ende zu setzen. Vielen Dank!

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