JAHRESBERICHT des Ausländerbeauftragten/Heim-TÜV

Zais: Es klingt, als führen sie die Arbeit ihres Vorgängers weiter. Aber der Gleichklang des Titels bedeutet leider nicht, dass das was drauf steht, auch drin steckt!

Rede der Abgeordneten Petra Zais zum „Heim-TÜV 2017 Teil I: Evaluation der dezentralen Unterbringung und der unteren Ausländerbehörden im Freistaat Sachsen“ (Drs 6/9814 – Unterrichtung durch den Sächsischen Ausländerbeauftragten) 58. Sitzung des Sächsischen Landtags, 30. August, TOP 10

– Es gilt das gesprochene Wort –

Sehr geehrter Herr Präsident,
sehr geehrte Abgeordnete,

I. „ Heim-TÜV 2017

Der Titel „Heim-TÜV 2017“ klingt, als führten sie die Arbeit ihres Vorgängers weiter Aber der Gleichklang des Titels bedeutet leider nicht, dass das, was drauf steht, auch drin steckt.

Zugegebenermaßen hat ihr Vorgänger, mit seinem Heim-TÜV große Fußstapfen hinterlassen. Bundesweit hat er dafür, vor allem von jenen, die sich für die Belange von geflüchteten Menschen einsetzen, Anerkennung erfahren. Sachsen galt, was die Qualitätssicherung bei der zentralen Unterbringung betraf, sowohl als Vorreiter als auch als Vorbild. Es hat mich damals gefreut, in Zeiten, in denen Sachsen vor allem mit Negativschlagzeilen auf sich aufmerksam machte, ein bundesweit positives Echo wahrzunehmen.

Wenngleich ich weiß, dass sich Martin Gillo mit seinem kritischen Blick und seinen ehrlichen Worten im Heim-TÜV, vor allem bei den Sächsischen Kommunen und seinen Fraktionskolleginnen und Fraktionskollegen nicht nur Freunde gemacht hat.

Dem gesetzten Maßstab kann der jetzt vorgelegte Heim-TÜV nicht standhalten. Er unterscheidet sich eklatant hinsichtlich Methode, Aussagekraft und Ansprache und hat mit Qualitätssicherung anhand spezifischer überprüfbarer Kriterien nichts zu tun. Warum ich das so sehe, möchte ich gern kurz darstellen:

1. Zu ihren methodische Vorbemerkungen (S. 7)

Sie schreiben, dass die Perspektive von Asylsuchenden und Flüchtlingen nicht erfragt und nicht berücksichtigt wurde. Das halte ich für einen eklatanten Fehler und spiegelt für mich eine Grundhaltung wider, die sie nicht haben. Und diese Grundhaltung heißt: Begegnung auf Augenhöhe.

Eine Restauranttesterin befragt doch auch nicht nur die Köchin und den Kellner, um als dann eine der begehrten Klassifizierungen zu verleihen. Vielmehr nimmt sie die Rolle des Gastes ein und speist anonym, um sich so einen realitätsnahen Eindruck zu verschaffen.

Sie konnten natürlich nicht anonym agieren. Es wäre jedoch angebracht, angemessen und erforderlich gewesen, die Perspektive derjenigen, um die es geht, nämlich geflüchtete Menschen in ihre Befragungen, einzubeziehen.

2. Transparenz (S. 8)

Sie schreiben, dass Ausgangspunkt der Erhebung das Unterbringungs- und Kommunikationskonzept des Freistaates Sachsen 2014 sei.

Dabei beziehen sie sich auf ein Konzept, das niemals veröffentlicht worden ist. Daher ist für den Leser/die Leserin des Heim-TÜVs 2017 gar nicht überprüfbar, inwiefern die Unterbringung o.g. Konzept gerecht wird.

3. Rechtmäßigkeit (S.9)

Sie verbreiten als Handlungsempfehlung, dass die Kommunen, bevor sie geflüchtete Menschen in Wohnungen ziehen lassen, die Wohnbefähigung überprüfen sollen. Folgenden Hinweis muss ich Ihnen dazu geben: Ein von der Antidiskriminierungsberatungsstelle der Opferperspektive Brandenburg in Auftrag gegebenes Rechtsgutachten überprüfte das Verfahren und die Kriterien der Stadt Potsdam zur Überprüfung der Wohnfähigkeit. Die AutorInnen kommen zum Ergebnis, dass die Wohnfähigkeitsprüfung gegen Art. 3 Absatz 3 Grundgesetz und gegen die Antirassismusrichtlinie verstößt. Auch wurden darin datenschutzrechtliche Bedenken geäußert. Fakt ist, dass Sie keine Handlungsempfehlungen verbreiten dürfen, die gegen höherrangiges Recht, namentlich hier das Benachteiligungsverbot und EU-Recht, verstoßen. Sie fordern quasi zu diskriminierender Verwaltungspraxis auf!

Im Rahmen des Gutachtens wurde aber auch gezeigt, dass Alternativen zur Verfügung stehen, um die mit der „Wohnfähigkeitsprüfung“ verfolgten Ziele zu erreichen. Eine am individuellen Unterstützungsbedarf orientierte Begleitung in selbständiges Wohnen erweist sich dabei nicht nur als der rechtmäßige, sondern auch als der effektivere und ressourcenschonendere Weg. Ich empfehlen daher, diesen Weg zu promoten und auf die Bewerbung diskriminierender Auswahlverfahren zu verzichten.

Und eine Bemerkung am Rande: Ich gehe davon aus, dass so mancher Teenager, der oder die sich entscheidet, dass Elternhaus zu verlassen, eine Wohnfähigkeitsprüfung ebenfalls nicht bestehen würde. Da sie Deutsche sind, müssen sie sich jedoch einer solchen Prüfung nicht unterziehen. Und genau das ist Diskriminierung.

4. Vorurteile schüren (S. 11)

Sie schreiben von Vorbehalten privater Vermieter gegen eine Vermietung an Flüchtlinge.

Wenn ein Vermieter aufgrund der Herkunft eines potentiellen Mieters die Vermietung verweigert, ist das ein Verstoß gegen das im Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz geregelte Benachteiligungsverbot. Anstatt diese diskriminierende Praxis als solche zu benennen, ist in Ihrem TÜV zu lesen, dass diese Vorbehalte manchmal nicht von der Hand zu weisen seien. Sie schreiben von der nicht pfleglichen Behandlung von Wohnraum und den Umgang mit Verbrauchsgütern, wie Wasser, Heizung und Strom. Das ist stigmatisierend.

Ich unterstelle, dass es auch zahlreiche deutsche MieterInnen gibt, die nicht pfleglich mit ihrem Wohnraum umgehen. Darüber könnten die allgemeinen Sozialdienste der Kommunen Bände veröffentlichen. Hier erwarte ich klare Worte im Sinne der Gruppe, die Sie vertreten.

5. Ausländerbehörden (S. 25 ff.)

Es ist zu begrüßen, dass die Ausländerbehörden in den Fokus des „Heim TÜV“ gebracht wurden. Die Lektüre dieses Abschnittes verdeutlicht, dass es bei den Ausländerbehörden einen erheblichen Nachholbedarf in Bezug auf die Kunden- und Serviceorientierung gibt. Dieser reicht von mehrsprachigen Aushängen und Hinweisschildern über die Bereitstellung von Wartebereichen, Fremdsprachenkenntnisse und interkulturelle Kompetenz der Mitarbeitenden oder das Zurverfügungstellen von mehrsprachigen Informationen auf der Homepage. Das sollten eigentlich Selbstverständlichkeiten sein bei Behörden, die vorrangig mit Menschen nicht deutscher Herkunft zu tun haben. Dem ist ganz offensichtlich nicht so.

Ich frage mich natürlich, was sie unternehmen, um die beschriebenen Missstände zu beheben? Führen sie Gespräche mit den Kommunen? Welche Anreize haben die Ausländerbehörden bzw. die Kommunen, die dargestellten Handlungsempfehlungen umzusetzen? Wird die Evaluierung der Arbeit der Ausländerbehörden wiederholt werden? (Martin Gillo hat seine Untersuchungen mit BM und Stadträten ausgewertet.)

Alles in allem überzeugt mich der Heim-TÜV 2017 nicht. Schade, diese Chance auf Qualitätssicherung haben sie vorbeiziehen lassen!

II. JAHRESBERICHT 2016

Wie schon bei ihrem letzten Bericht habe ich mir das Sächsische Gesetz über den Ausländerbeauftragten bei der Lektüre dazugelegt und geschaut, wie sie ihre Aufgaben erfüllt haben.

In § 3 Aufgaben und Befugnisse heißt es in Absatz 2 „Der Ausländerbeauftragte erstattet dem Landtag einen jährlichen Bericht zur Situation der im Freistaat Sachsen lebenden Ausländer. Er kann dem Landtag jederzeit Einzelberichte vorlegen. […]“

Die Darstellung der Lage der Ausländer in Sachsen auf nur 4 Seiten (S. 21 bis 25) entspricht bei weitem nicht dem in § 3 Abs. 2 SächsAuslBeauftrG formulierten gesetzlichen Auftrag. Auch die Aneinanderreihung statistischer Daten am Ende des Berichts vermag nicht die Lage der in Sachsen lebenden Ausländerinnen und Ausländer in aufschlussreicher Art und Weise darzustellen.

Deshalb frage ich erneut, wie und wann der Sächsische Ausländerbeauftragte künftig diesen gesetzlichen Auftrag erfüllen möchte?

In § 3 Absatz 5 heißt es „Der Ausländerbeauftragte nimmt an ihn gerichtete Bitten und Beschwerden (Eingaben) entgegen und geht ihnen im Rahmen seiner Möglichkeiten nach. Er kann sich dabei an die zuständigen staatlichen und privaten Stellen mit der Bitte um Unterstützung wenden. Soweit nicht auszuschließen ist, dass es einer Aufklärung des Sachverhalts der Eingabe mit den Mitteln des Gesetzes über den Petitionsausschuss des Sächsischen Landtags (Sächsisches Petitionsausschussgesetz – SächsPetAG) vom 11. Juni 1991 (SächsGVBl. S. 90) bedarf, soll der Ausländerbeauftragte sie mit Zustimmung des Eingabeführers an den Präsidenten des Landtages als Petition weiterleiten“.

In dem vorgelegten Bericht finden sich auch zur Wahrnehmung dieser Aufgabe keine Angaben. Mich interessiert natürlich inwieweit der Ausländerbeauftragte im Rahmen dieser „Quasi-Ombudsfunktion“ in Anspruch genommen wurde, wie das konkrete Vorgehen im „Eingabefall“ ist, ob die Eingabeführer über das Ergebnis der Aktivitäten des Ausländerbeauftragten informiert werden und in wie vielen Fällen der Ausländerbeauftragte von dem Mittel der Weiterleitung der Beschwerde als Petition Gebrauch gemacht hat.

Sie nutzen die Überschrift Reflexion (S. 27 ff.) und lassen Fraktionen im Landtag, die Wirtschaft und die Migrationsfachdienste aus ihrer Perspektive darstellen, was für sie Integration bedeutet. Aber wo bleibt die Stimme der Migrantinnen und Migranten? Wann fühlen sie sich integriert? Was brauchen sie dafür? Ihre Perspektive ist für das Gelingen von Integration unverzichtbar! Die Darstellung der Geschichten von MigrantInnen unter 3. hat mit der Reflexion unter 2 nach meinem Dafürhalten nichts zu tun.

Was mich irritiert hat. Der Bericht ist eingebettet in ihre nunmehr sehr deutliche Forderung nach einer Änderung der gesetzlichen Grundlage für ihre Arbeit. Ich bin überzeugt davon, dass weder für diese Forderung noch für die Beurteilung der Arbeit Dritter der Bericht die richtige Form ist.

Abschließend noch etwas zu unserem Verzicht auf einen eigenständigen Fraktionsbeitrag. In Ihrem Schreiben vom 24. Januar 2017 hieß es, dass sie neben der Dokumentation der parlamentarischen Beratung den Fraktionen Gelegenheit zu einem Statement geben wollen. Gefragt sei eine politische Einschätzung der Situation der Ausländer in Sachsen. Wir haben das aus Gründen der Trennung von Amt und Funktion abgelehnt. Es ist ihr Bericht und wir wollen uns in unserem Recht auf Kritik nicht selbst beschränken.

Warum sie dann allerdings gleich vollends auf die Dokumentation der grünen parlamentarischen Initiativen – darunter unser Antrag zur grundlegenden Überarbeitung des Zuwanderungs- und Integrationskonzepts inklusive eines geforderten Integrationsmonitorings im Jahr 2016 verzichten, bleibt ihr Geheimnis.

Für das nächste Jahr wünsche ich mir einen Bericht, der die im Ausländerbeauftragtengesetz geregelten Aufgaben abbildet und der dafür steht, dass sie der Interessenvertreter der Ausländerinnen und Ausländer in Sachsen sind.

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