Gesetzentwurf zum Anspruch auf Bildungsfreistellung

Zais: Forderung nach lebenslangem Lernen bleibt ein Appell, wenn sie nicht mit einer umfassenden Förderung verbunden ist. In vierzehn Bundesländern hat man dies erkannt und ein Recht auf Bildungsfreistellung gesetzlich verankert.

Redebeitrag der Abgeordneten Petra Zais zum Gesetzentwurf der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: „Gesetz über den Anspruch auf Bildungsfreistellung im Freistaat Sachsen“ – 74. Sitzung des Sächsischen Landtags, Mittwoch, 27. Juni, TOP 5

– Es gilt das gesprochene Wort –

Herr Präsident, meine Damen und Herren,

Politik, Wissenschaft und Wirtschaft werden nicht müde, Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer auf die Notwendigkeit lebenslanger Weiterbildung hinzuweisen. Keiner, der zur Anhörung unseres Gesetzes geladenen Sachverständigen hat diesem Anspruch widersprochen. So sagte Roland Ermer, Präsident des Sächsischen Handwerkstages:

„Die Notwendigkeit der lebenslangen Bildung und gerade auch der politischen Bildung ist unumstritten.“

Gestern Abend konnten wir bei Twitter von Ministerpräsident Michael Kretschmer lesen, der anlässlich des parlamentarischen Abends zur Weiterbildung sagte: „Lebenslanges Lernen für Jedermann muss gestärkt und gefördert werden.“

Nun, heute hätten Sie die Gelegenheit dies zu tun. Denn eines ist unumstritten: Wird die Forderung nach lebenslangem Lernen für Jedermann nicht mit einer umfassenden Förderung der Weiterbildung und eines individuellen Anspruchs verbunden, bleibt sie nur ein Appell.

In vierzehn Bundesländern hat man dies offenbar erkannt und ein Recht auf Bildungsfreistellung gesetzlich verankert.

Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, auch wenn Kritiker eines Bildungsfreistellungsgesetzes uns gern das Gegenteil verkaufen wollen: In diesen Bundesländern ist weder die Wirtschaft kollabiert, noch haben sich sämtliche Anspruchsberechtigte sogleich in den Bildungsurlaub verabschiedet.

Abenteuerlich wird es, wenn diejenigen, die eben noch behauptet haben, Bildungsfreistellung sei der sprichwörtliche Todesstoß für sächsische Klein- und Mittelständler, einen Augenblick später die „geringe Reichweite“ eines solchen Gesetzes beanstanden. Nur ein bis zwei Prozent der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer würden von ihrem Recht Gebrauch machen. Das mag ja sein. Allerdings schafft so ein Gesetz auch keine Verpflichtung, an Weiterbildungsmaßnahmen teilzunehmen. Vielmehr schafft es ein Recht darauf, dies zu tun.

An dieser Stelle kurz zu einigen prinzipiellen Einwänden:

  1. In der Ausschussanhörung war vereinzelt die Sorge vor unerträglichen Belastungen für Kleinstunternehmen zu hören.
  2. Nun: genau dafür haben wir ja den Anspruch auf eine Entschädigungspauschale für Kleinunternehmen in unseren Gesetzentwurf eingebaut. Gerade in Kleinunternehmen bleibt Weiterbildung ein Thema, welches längst nicht gelöst ist.
    Weiterbildung findet nach wie vor zu allererst in Großunternehmen statt. Dafür stellen diese sowohl die Freistellungen als auch die finanziellen Mittel zur Verfügung. Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in klein- und mittelständischen Unternehmen sind und bleiben benachteiligt. An dieser Stelle müssen wir ran und gute Bedingungen schaffen, auch im Interesse der kleinen Unternehmen selbst.

  3. Das Argument, der Fachkräftemangel sei ein Hindernis für ein größeres Engagement bei der Weiterbildung, ist Unsinn. Es ist vielmehr umgekehrt: Betriebe (wie Behörden) profitieren davon, wenn ihre Beschäftigten durch Weiterbildung nach stetiger Verbesserung ihrer Fähigkeiten streben.
  4. Wer sich am Markt behaupten möchte, der braucht Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, deren Wissen und Können stets auf der Höhe der Zeit sind. Gerade in Zeiten des Fachkräftemangels kommt es zu Situationen, in denen im Betrieb Mitarbeiterinnen oder Mitarbeiter an einer Stelle eingesetzt werden müssen, wofür sie ursprünglich nicht ausgebildet worden sind. Gut, wenn sie durch Weiterbildung rechtzeitig für neue Aufgaben fit gemacht wurden.

Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, mich befremden die Klagen der Verbandsvertreter von Kommunen und Landkreisen. Sie sind für mich in der Substanz nicht nachvollziehbar. Wie die Verbandsvertreter der Handwerker sind alle für mehr und intensivere Weiterbildung der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, aber nicht bereit, das Recht auf Weiterbildung mitzutragen.

Die sachverständige Professorin Sabine Schmidt-Lauff hat es in der Ausschussanhörung klar ausgedrückt:

Der GRÜNE Entwurf für ein Sächsisches Bildungsfreistellungsgesetz ist „systematisch, vollständig und umsetzbar“.

Deshalb ist es müßig, an dieser Stelle noch einmal über einzelne Punkte zu streiten. Unsere Botschaft ist unmissverständlich: Wir wollen dieses Gesetz und statt der gleich einsetzenden Krittelei an einzelnen Details hätten wir uns ein konstruktive Zusammenarbeit nach der Anhörung gewünscht. So wären wir durchaus bereit gewesen, den Vorschlag des Sachverständigen Prof. Klemm vom Volkshochschulverband aufzugreifen, zunächst ein Pilotprojekt Bildungsfreistellung über vier Jahre zu starten, wenn es dazu entsprechende Signale aus der Koalition gegeben hätte. Dieses Signal und auch weitere sind leider nicht gekommen.

Ich kann nur hoffen, dass die SPD recht bald wieder in eine Situation kommt, in der sie sich offen zur Bildungsfreistellung bekennen kann.

Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, man kann der Auffassung sein, dass der hier vorgelegte Gesetzesentwurf nicht die Antwort auf alle Herausforderungen im Kontext der Weiterbildung und des lebenslangen Lernens ist. Das hat auch niemand behauptet. Aber der Entwurf verspricht eben einen wichtigen Beitrag zu leisten.

Ich bitte um Ihre Zustimmung!

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